Genau
wie etwa 30 andere Schulen, Universitäten und
Bildungseinrichtungen in
Deutschland, Frankreich und Großbritannien hatte sich DB0GX
für einen
MIR-Kontakt angemeldet. Am 9.Januar 1996 sollten Willicher Schüler
die
Möglichkeit erhalten, mit Thomas Reiter zu plaudern. Und so
schallte
der Ruf "DP0MIR von DB0GX" zu den verabredeten Zeiten durch den kalten
Speicherraum. Immer wieder, aber vergeblich. Und alles war doch getan
worden: Nachdem kurz nach Weihnachten der Termin und die zu verwendende
Uplink-Frequenz von der Amateurfunkgruppe der Deutschen
Forschungsanstalt für Luft und Raumfahrt bekannt gegeben worden
war,
krochen am Tag vor Silvester einige ehemalige Schüler über
das
Schuldach, um es zu enteisen. Bei minus 8 Grad reparierten Norbert und
Andreas noch schnell den Elevationsrotor. Die Amateurfunk-AG
organisierte diverse Geräte und Ersatz-Transceiver, schuleigene
Fernseher, Kamera und Computer, brachte die Satelliten-Programme mit
den MIR-Flugdaten auf den letzten Stand, bastelte und hämmerte und
verlegte sogar Teppichboden in der Funkbude, die nun seit ihres
10jährigen Bestehens noch nie so schmuck, gemütlich und
aufgeräumt
ausgesehen hatte. Immerhin: Die lokale Presse war vertreten, alle
lokalen Hörfunk-stationen waren anwesend, einige mit
Live-Schaltungen,
und ein Fernseh-Team des Westdeutschen Rundfunks hatte sich die
Exclusiv-Rechte für den besten Sofa-Platz im kleinen Funkraum
gesichert. Dazu jede Menge Schüler, die gleich am zweiten Schultag
nach
den Ferien die Gelegenheit eines "unterrichts-verdünnten"
Vormittags
nutzten. Und Sponsoren waren anwesend: der Bürgermeister der Stadt
Willich, Vertreter von Sparkasse, Volksbank und der Fa. Telcom, von
interessierten Lehrern und der Schulleitung ganz zu schweigen. Aber
Thomas Reiter meldete sich nicht. Aufgrund seines Arbeitsprogramms mit
technischen Problemen an Bord der MIR konnte er den Termin nicht
einhalten. Enttäuschung mischte sich bald mit Zuversicht. "Ich
find'
den Thomas Reiter trotzdem süß! Wenn der wieder zurück
auf der Erde
ist, können wir ihn ja mal zu einer Pizza einladen", so eine
Schülerin.
Von einem Mißerfolg kann aber nicht die Rede sein, denn die
Afu-AG
hatte mit viel Fleiß die Gelegenheit genutzt, einerseits die
schulischen Aktivitäten, zum anderen den Amateurfunk
überhaupt einer
breiten Öffentlichkeit näher zu bringen. So waren die
"Bernhardiner"
dann auch stolz, sich im WDR-Fernsehen, Schaufenster Düsseldorf,
am
Abend wieder zu sehen. Und man war gut auf den nächsten Termin,
den 16.
Februar, vorbereitet.
Anders als bei rein amerikanischen Raumfahrt - Missionen gehören
Amateurfunk - Schulkontakte nicht zum offiziellen ESA-Programm. Die
wissenschaftliche Arbeit geht vor, und dass Thomas Reiter trotzdem im
Rahmen des SAFEX (Shuttle Amateur Radio Experiments) mit diversen
Schulen und dann am 16.2. auch mit uns sprach, ist seinem
persönlichen
Engagement, seinem "ham-spirit" zu verdanken. Am 16.Februar 1996
klappte es dann tatsächlich, wenn auch erst im zweiten von
Oberpfaffenhofen reservierten MIR-Überflug. Thomas Reiter an
DP0MIR
konnte in sehr guter FM-Qualität empfangen werden. Der
Presserummel war
nicht mehr so groß, die meisten Schüler zogen am
unterrichtsfreien
Karnevalsfreitag närrisches Treiben vor und schauten nur
vereinzelt in
die Funkbude, die beim zweiten "sked" neben den Mitgliedern der Afu-AG
nur wenige Gäste beherbergte: Herr Schell, einige Lehrer,
Vertreter der
lokalen Zeitungen und Yaesu - Chef Kaz Naguru, der eigens aus Frankfurt
kam, um zu sehen, wie der von den Sponsoren finanzierte neue
Transceiver in Willich "spielte". Während des ersten
MIR-Überflugs ab
18.22 Uhr kam wieder nur kosmisches Rauschen aus den geliehenen Boxen.
Also konzentrierten sich alle Hoffnungen auf die un-weigerlich letzte
Chance: den zweiten Umlauf der russischen Raumstation ab 19.59 Uhr. Die
Zwischenzeit wurde von den Pressevertretern für Interviews
genutzt,
Funkverkehr und "packet radio" wurden demonstriert, und Kaz Naguru
erzählte vom Amateurfunk in Japan, in englischer Sprache versteht
sich.
Es entwickelte sich ein gemütliches Plauderstündchen, mit
viel
Erfahrungsaustausch in gelöster Atmosphäre.
" DB0GX von DP0MIR", rief Thomas Reiter mehrmals, weil er das
DB0GX-Signal in etwa 400 km Höhe schlechter hörte als wir
seins. Also
grüßte er Willich und erzählte vom anstehenden Packen
und Lesen der
Dokumentation der Kapsel, verließ er doch 13 Tage später die
Raumstation, wo er seit September 1995 gelebt und gearbeitet hatte.
Während des 8minütigen Schulkontakts antwortete Thomas auf
fast alle
Fragen, die die Schüler vorbereitet hatten und selbst stellten.
Die
10jährige Anne wollte etwas über Waschen und Rasieren wissen.
"Rasieren
geht wie auf der Erde, zum Waschen haben wir feuchte Handtücher,
mit so
einer Seifenlauge imprägniert". Daniel (5e) interessierte mehr die
Geschwindigkeit der MIR, "etwa 26fache Schallgeschwindigkeit", und
Julius, DD8EZ, 14 Jahre alt, fragte nach sichtbaren
Umweltschäden."
Hauptsächlich im Urwald, Erosionen um Madagaskar."
Claudia, 17 Jahre, wollte etwas über die möglichen Spannungen
der drei
Männer im All wissen. Thomas Reiter: "Wir haben uns bisher
eigentlich
noch nicht gestritten. Es wundert mich ehrlich gesagt selbst, aber das
halbe Jahr ging in der Beziehung ganz hervorragend über die
Bühne".
Zu den Ergebnissen einzelner Forschungsprojekte konnte Thomas Reiter
noch nichts sagen, da die meisten Daten und Proben erst am Boden
ausgewertet werden. Fragen nach der Einsatzbereitschaft der Amateurfunk
- Geräte konnte er wohl nicht mehr aufnehmen. " Wir sind seit
einigen
Minuten in Verbindung mit dem Kontrollzentrum in Moskau, und
während
der Zeit, während die anderen Sender hier arbeiten, kann ich fast
kein
Signal vom Boden empfangen."
Bei seinen letzten Worten: " Wir sind gleich unterm Horizont. Nochmals
viele Grüße nach Willich, von uns dreien, und vielleicht
gibt sich ja
mal die Gelegenheit, am Boden miteinander zu sprechen..." wurde
nachgehakt, ob er aber unsere Einladung zum Schuljubiläum noch
verstanden hat, ist fraglich. (Auch eine schriftliche Einladung
über
Oberpfaffenhofen blieb bis Anfang Mai 1996 noch unbeantwortet.)
Lautstarkes Johlen und Klatschen zerschnitt danach die Stille des
Funkraums. Alle waren begeistert, und die, die vorher noch nie etwas
vom Amateurfunk gehört hatten, lobten die gute FM-Verbindung zur
MIR.
Die gemeinsamen Anstrengungen hatten sich also gelohnt. Die lokalen
Zeitungen berichteten wieder ausführlich, und das mitten in der
5.Jahreszeit, wo sonst nur König Karneval für Schlagzeilen
sorgt.
BERNHARD KLINK, DG1EA
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